Das Opernglas

01.03.2002

Das Mädchen aus dem goldenen Westen

Dessau

Puccinis »Fanciulla« scheint seit geraumer Zeit an deutschen Opernhäusern Boden gut zu machen; und das, obwohl dieses Werk für Intendanten immer noch ein spielplanstrategisches Wagnis darstellt. So war auch bei der Premiere am Anhaltischen Theater Dessau die Zurückhaltung des Publikums zunächst deutlich zu spüren. Die Oper ist in der Tat ein problematisches Konstrukt. Das betrifft zum einen die für unsere „Geschmäcker" zu wenig ins Bild passende Wildwest-Story, zum anderen die Besetzungsschwierigkeiten des 15-köpfigen Männerensembles plus Herrenchor. Die Anforderungen an das Orchester sind ebenfalls überdurchschnittlich. Und damit das Werk wirklich zum Erklingen und damit zur vollen Entfaltung gebracht werden kann, sollten sich auch die mittelgroßen Bühnen keinesfalls auf die von Puccini autorisierte reduzierte Orchesterfassung versteifen.  
 
Diese Inszenierung von Anthony Pilavachi entschied sich für klare Linien. Sie widerstand erfolgreich dem in der Partitur geforderten Aufwand an naturalistischer Detailversessenheit. Die Spielorte, ob in der „Polka", in Minnies Hütte oder in der kalifornischen Wildnis, waren überformt, oder sollte man sagen, überklebt mit dem Fahndungsplakat nach dem Räuber Ramerrez. Dies zeitigte eine frappierende Wirkung, vor allem im ersten Akt. Die Wirtsstube verströmte klinische Kälte, gemahnte in ihrer ästhetischen Anmutung (Bühne: Fridolin M. Kraska) in gewisser Weise an ähnlich perspektivisch aufgewölbte, kalligrafisch durchgestylte Kunsträume, wie wir sie auf einer documenta oder Biennale vorfinden. Dieser raffinierte Verfremdungseffekt durch überstarke Betonung nur eines Zeichens verlor im weiteren Verlauf des Abends leider mehr und mehr an Kraft und Überzeugung. Das »Mädchen aus dem goldenen Westen« entpuppt sich gegenüber konzeptionell überbordenden Eingriffen meist schnell als äußerst widerborstig - für Regisseure letzten Endes ein undankbares Objekt. Nicht jedoch für Musiker. Puccini stößt mit seiner einzigen Happyend-Oper in für ihn neue musikalische Dimensionen vor. In Harmonik und Klangfarbe können ihm als Zeitgenossen einzig Richard Strauss und Alban Berg Paroli bieten. Die leidenschaftliche Verschmelzung des Realen auf der Bühne mit dem Geträumten im Orchester - ein grandioses Fantasma aus Wunsch und Wirklichkeit als erstmalige italienische Variante zum musikalischen Jugendstil - stellen den Italiener auch auf eine Stufe mit Schreker, Korngold und Zemlinsky.  
 
Die Anhaltische Philharmonie unter der stets wachen Leitung von Karl-Heinz Zettl erspürte jede klangfarbliche Nuance bis hin in die feinsten instrumentalen Aufsplitterungen und Schattierungen. Insbesondere die zahlenmäßig starken Bläsergruppen leisteten viel Delikates. Instrumentale Exoten wie Vibrafon, Windmaschine und Harfen als Banjoersatz riefen quasi-filmische Effekte ins Bewusstsein. Die heikle Balance zwischen Sängern und Orchester blieb weitgehend gewahrt. Nichts wurde klanglich verschleiert oder zugedeckt. So konnte sich vokale Energie ungehindert entfalten. Die Verantwortlichen hatten sich hingegen für die schon etwas altbackene deutsche Übertragung von Alfred Brüggemann entschieden. Ob das gut und richtig war, muss letztlich das Publikum entscheiden. Aber die Sänger hatten aufs Ganze gesehen keine Probleme damit, bis auf, ja leider, Eilana Lappalainen als Minnie. Sie verschenkte den Großteil ihres Erfolges durch eine verknautschte Diktion in der Mittelage, durch undeutliche Artikulation in den Parlandopassagen. Unverständlich für eine Sängerin, die als Salome oder Senta Großes zu leisten im Stande ist. Von diesem Handicap, das sie auch spielerisch einzuengen schien, konnte sie sich immer dann befreien, wenn sie zu dramatischen Höhenflügen ansetzte; erst in den zahlreichen acuti (bis zum eis'"} fand sie ihr sicheres Ziel.  
Ihr Partner Dario Walendowski als Dick Johnson alias Räuber Ramerrez wusste durch seinen in allen Lagen mit weichem Ansatz sicher geführten Tenor zu überzeugen, obgleich man von ihm weniger heldisches denn jugendliches Draufgängertum erwartet hätte. Das ist zwar kein Beinbruch, doch ein Quäntchen mehr an erotischer Spannung zwischen den beiden wäre wünschenswert gewesen.  
Die hätte man haben können beim Dritten ihm Bunde: Ulf Paulsen als abgewiesenem Bewerber Jack Rance. Souverän formte der betont lässig auftretende Bariton sein metallisches Stimmmaterial in Ausdruck und Farbe zu einem widersprüchlichen Charakter des Sheriffs. Beklemmend sein Auftreten im verlorenen Poker um den Rivalen im 2.Akt mit Minnie, seine symbolische Entmannung, fast unbemerkt abseits des turbulenten Geschehens, am Stückende.  
Die eigentliche Kulisse dieser weltfernen Oper aber sind, abgesehen vom Orchesterklang, die Forty-Niners, die Goldgräber vom Jahrgang 1849: Ohne sie läuft gar nichts. Jeder hat seinen kleinen Auftritt, dann marsch wieder zurück ins Mannschaftsglied. Fürdie Darsteller eine Herausforderung, bleibt ihnen doch kaum Zeit, ihre Figuren annähernd zu charakterisieren. Das Dessauer Sängerensemble leistete hierin Vorzügliches; Stellvertretend seien hervorgehoben: Mark Rosenthal als steifbeiniger Schenkkellner, trotzdem sehr beweglich und anrührend in jeder Phase; Juhapek-ka Sainio als Agent der Versandgesellschaft Fargo, ganz der aasige Neo-Kapitalist; Kostadin Ar-guirovals Sonora, aufsässiger Gegenpart zum Sheriff; Adam Fenger als Bänkelsänger Jake Wallace im lyrischen Softappeal eines alten Traditional. Die chorischen Einlagen, der sanftmütige Stimmenklang der harten Jungs bis hin zu den berückenden bocca chiusa-Einwürfen, all das war der akribi-schen Einstudierung von Chorleiter Markus Oppeneiger zu verdanken. Und wo bleibt Wowkle? Jana Frey, Squaw und Haushaltshilfe von Minnie komplettierte die Frauenriege. Alert und immer ein wenig vorwitzig brachte sie in ihren nagelneuen Turnschuhen (Kostüme: Cordula Stummeyer) einen Schuss Moderne in den Wilden Westen. K.C. v. Karais  

Urheber des Beitrags ist K.C.v.Karais - Vielleicht will die Redaktion einmal Ihre Meinung wissen

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